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«Schweizerdeutsch hat keine Grammatik. Deshalb kann ich es nicht lernen.» Warum das nicht stimmt:

Welche Sprache sprechen die Arbeitskolleg*innen untereinander? Wie kommunizieren die Schweizer*innen per WhatsApp? Wie sprechen die Vereinskolleg*innen? In der Schweiz: ganz klar Schweizerdeutsch. Aus diesem Grund sind Deutschlernende häufig verwirrt, wenn sie aus der ersten Deutschstunde kommen und Deutsche sind frustriert, wenn sie die Bewohner des Nachbarlandes mehr schlecht als recht verstehen.

 

Inhalte in diesem Blogartikel:

 

Schweizerdeutsch – Sprache oder Dialekt?

Wenn Fremdsprachige in der Schweiz Deutsch lernen, sind sie spätestens in der zweiten Woche verwirrt. Im Deutschkurs lernen sie zwar auch die Begrüssungen (Grüezi, Hoi) und Verabschiedungen (Adie, Tschau), die hierzulande gebräuchlich sind, der Rest ist dann aber nur noch sehr schwer zu verstehen.


Die ersten Fragen, die mir dann gestellt werden, betrifft die gesprochene Sprache. Wie reden denn die Schweizer untereinander? Wie reden sie in der Schule, bei der Arbeit? Ist es höflicher, Standarddeutsch zu sprechen? Oder gar vornehmer?


Die zweite Frage betrifft die geschriebene Sprache. Wie schreiben denn die Schweizer? Wann schreiben sie schweizerdeutsch? Und vor allem wie??


Das die Sprache in der Schweiz Verwirrung stiften kann, finde ich absolut nachvollziehbar. Die vier Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. Deutsch, nicht Schweizerdeutsch. In der Schule wird während des Unterrichts Standarddeutsch gesprochen, an öffentlichen Anlässen meistens auch und die Korrespondenz mit Ämtern, Behörden, Versicherungen usw. wird ebenfalls auf Deutsch geschrieben.


Der Grund dafür ist, dass Schweizerdeutsch ein Dialekt ist. Sämtliche deutsche Dialekte der Schweiz gehören dazu. Als Amtssprache kann es deshalb nicht zählen. Diese Ansammlung von alemannischen Dialekten unterscheiden sich sehr stark voneinander. Eine Kantonsgrenze kennt der Mundart nicht. Im Gegenteil: Ein Dorf weiter kann die Aussprache bereits anders sein oder einzelne Begriffe werden anders benannt. Die Tendenz ist aber ein «Dialäktgmisch». Das bedeutet, dass sich der Dialekt verschiedener Regionen mit der Zeit vermischt und die Eigenheiten der individuellen Dialekte abgeschwächt wird.


Wenn ich Zürichdeutsch unterrichte, mache ich häufig auf Ausdrücke aufmerksam, die veraltet sind, jedoch von der älteren Generation oder auf dem Land dennoch benutzt werden. Ein Dialekt verändert sich so schnell, dass es nicht ganz einfach ist, ein Lehrmittel mit aktuellem Wortschatz bereit zu halten. Aus diesem Grund lautet ein häufiger Tipp von mir: Spielt Detektiv und hört den Nachbarn, den Arbeitskolleg*innen, den Pendlern zu. Wie sprechen sie? Welchen Wortschatz benutzen sie?

Es gibt keine Stelle, kein Amt, keine Akademie, die das Zürichdeutsch normierte. (...) Die einzige Norm, die bei einem Dialekt zählt, ist der Sprachgebrauch der Mehrheit. Viktor Schobinger

Die Grenze des heutigen Dialektgebietes sind Andelfingen – Baden – Zug – Uznach. Aber: Es existieren innerhalb dieses Gebietes weitere Dialekte, bzw. Varianten.


Die in der Stadt und am See gesprochene Variante wird als Normalform angenommen.


Wegen den unzähligen Varianten, dem Dialäktgmisch und neumodischen Wörtern ist es absolut verständlich, wenn Züritüütsch-Lernende nicht genau wissen, welche Wörter nun richtig sind.

Spannende Lektüre
 

Züritüütsch oder Züridütsch?

Wie schreibt man denn auf Zürichdeutsch, wenn es keine Stelle gibt, die eine Norm vorgibt? E-Mails und SMS werden häufig auf Schweizerdeutsch geschrieben. Dass es Richtlinien für eine einheitliche schriftliche Form gibt, weiss praktisch niemand. Die Regel lautet: Wir schreiben wie wir sprechen. Die Mehrheit passt sich dem Standarddeutschen an, die jüngere Generation dem Englischen.

Entweder man bevorzugt den Klassiker unter den Wörterbüchern oder die moderne Variante.

Genau dies unterscheidet das Schreiben im Sprachkurs und im Alltag. Was das Lernen des Dialekts nicht unbedingt einfacher macht. Dennoch bin ich als Lehrerin der Meinung, dass es sehr sinnvoll und hilfreich ist, beim Lernen einer neuen Sprache ein einheitliches und logisches Schriftbild zu haben. In meinem Unterricht halte ich mich (meistens) an die Richtlinien von Eugen Dieht. Bei der Dieth-Schreibung geht es darum, möglich lautgetreu zu schreiben. Zusätzlich zum gewohnten Alphabet benötigen die Vokale Akzente, die jedoch weggelassen werden können.


Schreibregeln für Züritüütsch-Lernende

Schreib, was du hörst. Leicht abgeänderte Dieth-Schreibung.*

​Langsame Aussprache = so schreibe ich

d Haar, de Stuel, psunders, ich häisse

Lange Laute schreibt man doppelt

de Tuume, riite, ghööre, lüüte, de Wii

Offene Vokale (Selbstlaute) erhalten einen Akzent (fakultativ)

wììrt, d Wùùrscht, nòòchscht, fròòge

die vier typischen e-Laute müssen unterschieden werden

e = hell, see

è = fèrtig, hèèrz

ä = häsch, gääl

e = flüschtere

Achtung bei äi und ei (Wir sprechen wie wir schreiben)

de Mäi, frei

eu und äu = öi

nöi, öis, höì, fröìe

Zwischen den Vokalen kommt ein Bindungs-n (*mit Bindestrich)

Ich chume-n-us de Schwiiz.

Das sich en alte-n-Esel.

Keine Apostrophe

d Frau, s Mäitli, Gaat s na! Er hät s gsäit.

*Gross- und Kleinschreibung identisch mit dem Standarddeutschen

d Schtadt Züri, de Hèrr Chäller

Ein wichtiger Hinweis für alle Lernenden, die von nun an Züritüütsch schreiben möchten: Wir schreiben im Unterricht so, damit die Aussprache klar ist und es keine Missverständnisse gibt (z. B. äi oder ei). Im Alltag empfehle ich, den Schreibstil der Mehrheit der Deutschschweizer anzupassen und einfach so zu schreiben, wie es sich richtig anfühlt.



 

Grammatikregeln

So. Vermutlich denken nun alle, dass eine Grammatik bei einem Dialekt mit so vielen Varianten nicht existieren kann. Wie bereits erwähnt, gibt es keine Norm, die von einer Akademie o. ä. festgelegt wird. Es gibt jedoch die Bevölkerung, die die Sprache braucht und prägt. Die Grammatik, die in den Zürichdeutschkursen vermittelt wird, entspricht dem Gegenwarts-Zürichdeutsch. Die Terminologie hält sich an die traditionellen Bezeichnungen.


Es gibt tatsächlich ganz klare grammatikalische Unterschiede zwischen dem Standarddeutschen und dem Zürichdeutschen:

  1. Die vier Fälle (Kasus): Es existieren nur zwei (Allgemeinfall + Dativ)

  2. Zeitformen: Präsens und Perfekt. Das ist alles. Um über Zukünftiges zu sprechen, werden entsprechende Zeitadverbien benutzt.

  3. Relativpronomen: wo

  4. Verbposition des Modalverbs im Perfekt: Ich habe etwas fragen wollen. Ich han öpis wele fròòge.

  5. Kontrahierte Verben mit Kurzinfinitiv: gaa go (gehen), choo cho (kommen), laa la (lassen)

  6. Wegfall des Personalpronomens du ist möglich: Chunsch cho ässe? (Kommst du essen?)


Diese Eigenheiten des Schweizerdeutschen lernt man am besten in einem Sprachkurs. In einer Kleingruppe oder in einem Privatunterricht hat man die Möglichkeit, die Strukturen zu üben, Unsicherheiten im Sprachgebrauch zu klären, Traditionen und Bräuche kennen zu lernen und den Dialekt selbst zu sprechen.

 

Wie lernt man am besten Schweizerdeutsch?

Der Vorteil beim Erlernen dieses Dialektes ist, dass sich die Lernenden mehrheitlich im jeweiligen Sprachgebiet aufhalten. Am besten lernt man eine Sprache (hier: Mundart) dort, wo sie gesprochen wird. Nimm am Dorfleben teil, sprich mit deinen Nachbarn und am besten wirst du gleich Mitglied in einem Verein. So wirst du regelmässig mit Muttersprachlern in Kontakt kommen.

Lernender mit Lehrerin
Auch im Züritüütschkurs wird mit Farben, Kärtchen und Spielen gearbeitet.

Weitere Lerntipps:

Es gibt im Handel Lehrmittel, um Züritüütsch zu lernen.

Ich hoffe, dass nach dem Lesen dieses Blogartikels nun klar ist, dass auch ein Dialekt gelernt werden kann und die Grammatik erklärbar ist. Somit steht nichts mehr im Weg, Mundart zu lernen


Kennst du gute Musikstücke, die in einen Züritüütschkurs passen würden?

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1 Comment


Guest
Sep 14, 2023

Völlig richtig, der Irrglaube ist weit verbreitet. Ich habe auch neulich dazu etwas geschrieben: https://grammatik.cc/ansichten/sind-dialekte-auch-sprachen/. Gruß aus Vorarlberg, David

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